„Pünktchen“ kämpft sich durchs Unterholz
Rettungshunde zeigen bei Einsatzübung ihr Können. BRK-Einheiten und Feuerwehr trainieren gemeinsam.
EBERN - Aufgeregt bewegt sich der Retter auf vier Pfoten durch hohes Gras, dichtes Gestrüpp und dorniges Gewächs. Mit den kurzen Beinen überwindet „Pünktchen“ breite Gräben, am Boden liegende Äste und Baumstämme, springt über schlammige Pfützen. Irgendwo hier in dem großen Areal im Wald westlich von Ebern werden mehrere Jugendliche vermisst – und die sollen „Pünktchen“ und seine vierbeinigen Kollegen von der BRK-Rettungshundestaffel Haßberge finden. Möglichst schnell.
Das Geschehen an diesem kalten und windigen Januar-Morgen lässt das Schlimmste vermuten: Nach einer Explosion in einer Jugendherberge werden mehrere Jugendliche vermisst, auch in dem Gebäude gibt es möglicherweise Verschüttete. Die Jugendlichen haben nach dem Bild der Zerstörung zu urteilen, mitunter schwere Verletzungen und stehen unter Schock. Sie müssen schnell gefunden und medizinisch versorgt werden.
Kurz nach 10:00 Uhr am Sonntag werden die Rettungskräfte vom Bayerischen Roten Kreuz und der Feuerwehr alarmiert und zum ehemaligen Standortübungsplatz gerufen. Es ist eine von der BRK-Rettungshundestaffel unter Leitung von Wolfgang Amend geplante realitätsnahe Einsatzübung. „Wir wollen das Zusammenspiel zwischen Rettungshundestaffel, des mobilen Einsatzleitwagens, verschiedenen BRK-Schnelleinsatzgruppen und der Feuerwehr trainieren“, beschreibt der Eberner das Vorhaben. Die eingesetzten Mimen wurden vorab von der BRK-Gruppe der realistischen Unfalldarstellung (Leitung: Günther Schleelein) mit nahezu echt aussehenden Verletzungen geschminkt.
Als Beobachter der Übung sind Vertreter der Polizeiinspektion Ebern eingeladen; drei Beamte verfolgen das Geschehen aufmerksam. Sie und ihre Kollegen sind es, die im Ernstfall, beispielsweise bei Vermisstensuchen, den Einsatz der Rettungshundestaffel in die Wege leiten müssen. Der ist im Übrigen mit keinen Kosten für die öffentliche Hand verbunden, denn die Helfer arbeiten allesamt ehrenamtlich. Umso mehr allerdings hoch professionell: Alle Rettungshunde, die im Ernstfall zum Einsatz kommen, haben zusammen mit ihren Hundeführern eine langjährige Ausbildung hinter sich und müssen immer wieder Prüfungen ablegen. „Wir trainieren sehr viel, zweimal in der Woche, und wir helfen jederzeit gerne“, verdeutlicht Amend gegenüber den Polizeibeamten.
Von sieben vermissten Jugendlichen, die sich vor der Explosion in dem Gebäude – als Objekt dient „Kistenhausen“, ein Überbleibsel aus Bundeswehrzeiten – aufgehalten haben, fehlt jede Spur. Wo soll man hier mit dem Suchen beginnen? Planlos loslaufen wäre keine gute Idee, weiß Einsatzleiter Norbert Brückner von der Rettungshundestaffel. Deshalb ist zunächst erst einmal Planung notwendig: Mithilfe von digitalem Kartenmaterial, das die BRK-Schnelleinsatzgruppe „Information und Kommunikation“ (IuK) unter Leitung von stellvertretendem Fachdienstleiter Christian Krämer in ihrem mit moderner Elektronik ausgestatteten Einsatzleitwagen bereitstellt, verschaffen sich die Führungskräfte einen Überblick über das Gelände, teilen einzelne Suchgebiete ein und schicken schließlich mehrere Rettungshundeteams zur Suche los.
Auf Kommando der Hundeführer suchen die Vierbeiner nach einem bestimmten System große Flächen ab – egal ob Wiesen, Felder oder Wälder. Findet ein Hund eine hilflose Person, wird diese durch Verbellen angezeigt. So weiß der Hundeführer bescheid und eilt zu dem Vermissten, leistet bei Bedarf Erste Hilfe und ruft per Funk Unterstützung herbei.
Es sind knapp 15 Minuten vergangen, als „Pünktchen“ irgendwo im Wald energisch zu bellen beginnt. Hundeführer Karl Körpert eilt herbei und lobt seinen Hund: Der zehn Jahre alte Entlebucher Sennenhund hat ein bewusstloses Mädchen gefunden, dass rund 200 Meter abseits eines Waldweges in einer mit Laub bedeckten Mulde und unter dichtem Geäst liegt. Er leistet mit zwei Helfern seines Teams Erste Hilfe; per Funkspruch alarmiert, treffen kurz darauf Feuerwehrleute aus Ebern und Reutersbrunn sowie ein Rettungswagen der BRK-Schnelleinsatzgruppe Transport aus Ebern ein.
Das bereits von den Team-Mitgliedern Waldemar Kell und Brigitte Körpert in stabile Seitenlage gebrachte Mädchen wird von Rettungsassistent Rudi Hauck und Notfallsanitäter-Auszubildender Juila Neubauer medizinisch versorgt, Brandwunden werden steril abgedeckt und Blutungen mit Verbänden gestoppt. Anschließend erfolgt mithilfe eines Spineboards der schonende Transport zum Rettungswagen. Mit ihm wird sie, wie alle anderen Verletzten und aufgefundenen Vermissten, zu einem geheizten Versorgungszelt gebracht, das die BRK-Schnelleinsatzgruppe Betreuung aus Haßfurt auf einem Weg unweit des zerstörten Hauses errichtet hat. In dem Zelt werden die Verletzten stabilisiert, erhalten Infusionen und werden versorgt, bevor sie in der Realität anschließend mit Rettungswagen und Rettungshubschraubern in geeignete Klinken transportiert würden.
Zeitgleich dringen Trupps der Feuerwehr mit Atemschutz in das zerstörte Gebäude ein und messen, ob noch Gas in der Luft ist. Keine Gefahr mehr. Jetzt kommt Stefan Heller mit seinem Rettungshund „Wäsnet“ zum Einsatz. Der Vierbeiner - speziell für die Suche nach Verschütteten ausgebildet - sucht Keller und zwei Stockwerke des Hauses ab und findet im Dachgeschoss ein verletztes Mädchen, das unter Trümmern liegt. Gemeinsam retten Feuerwehr und BRK die Jugendliche aus dem Haus, was nur über ein Fenster im Dachboden möglich ist. Dabei kommt die Drehleiter der FFW Ebern mit einem speziellen Tragesystem zum Einsatz. So kann die Verletzte liegend und schonend aus rund sechs Metern sicher gerettet werden. FFW-Einsatzleiter Michael Wüstenberg und Gruppenführerin Laura Rennebohm koordinieren die Aktion, während Drehleitermaschinist Johannes Rennebohm die sperrige Drehleiter samt Rettungskorb mit viel Gefühl zentimetergenau zum Fenstersims manövriert.
Doch damit nicht genug: Für die Rettungshundestaffel gibt es plötzlich einen weiteren Auftrag. Der Einsatzleitung wurde soeben gemeldet, dass ein Großvater von der Explosion erfahren hat, zum Unglücksort geeilt ist und alleine auf eigene Faust nach seinem Enkel sucht. Jetzt ist der gesundheitlich angeschlagene Senior verschwunden, auch er muss nun gesucht werden.Dafür werden wie zuvor bei den vermissten Kindern keine sogenannten „Flächenhunde“ eingesetzt, die große Areale absuchen, sondern ein Mantrailer. Diese Hunde nehmen die Witterung eines Menschen auf und folgen dessen Spur kilometerweit – mitunter noch nach Tagen. Zu Beginn nehmen sie die Witterung zum Beispiel anhand eines vom Vermissten zuvor getragenen Pullovers auf.
Jetzt schlägt die Stunde für „Milo“. Vom Kleinbus des Vermissten aus nimmt der braune Labrador die Spur auf. Hundeführer Michael Scherbel folgt ihm an einer langen Schleppleine. Die Nase am Boden läuft der in Ausbildung befindliche Rettungshund über Schotterwege, durch Wald, über eine Wiese und einen Abhang hinauf und findet nach rund 25 Minuten den Großvater. Der 68-Jährige ist in dichtem Gestrüpp unterhalb des Käpelle gestürzt, hat sich verletzt und kann aus eigener Kraft nicht aufstehen. Auch er wird von Helfern des BRK und der Feuerwehr aus dem unwegsamen Gelände gerettet und versorgt. Für „Milo“, der dieses Geschehen aus einigen Meter Nähe freudig verfolgt, gibt es von Michael Scherbel ein tüchtiges Lob und Streicheleinheiten. „Das hat Milo super gemacht“, lobt auch Brigitte Fiedler, die mit ihrer Hündin „Urgel“ aktuell in ganz Unterfranken das einzig geprüfte Mantrailer-Team bildet.
Nach über vier Stunden Einsatzübung, die auch von Kreisbereitschaftsleiter Stefan Funck beobachtet wird, ziehen die Verantwortlichen eine positive Bilanz. „Das Zusammenspiel aller beteiligten Einheiten hat gut geklappt“, sagt Wolfgang Amend. Erkanntes Verbesserungspotenzial soll in künftige Fortbildungen einfließen. Am Ende konnten sich die ehrenamtlichen Einsatzkräfte bei einer Nachbesprechung im Rotkreuzhaus in Ebern stärken; die BRK-SEG Verpflegung aus Hofheim hatte eine Gulaschsuppe gekocht und Helfer der BRK-Bereitschaft Untermerzbach übernahmen die Essensausgabe. Insgesamt waren vonseiten des Roten Kreuzes rund 40 Einsatzkräfte beteiligt, die Feuerwehren Ebern und Reutersbrunn waren mit 20 Helfern dabei. Die Verletzten wurden von Mitgliedern der beiden Jugendfeuerwehren dargestellt.
Stichwort: Rettungshundestaffel
Die BRK-Rettungshundestaffel Haßberge (gegründet: 2001) wurde im Jahr 2017 zu über 60 Einsätzen in ganz Franken alarmiert. Durchschnittlich bedeutet das alle sechs Tage einen Einsatz. Insgesamt sind derzeit 21 Helfer mit 27 Hunden ehrenamtlich in der Staffel aktiv. Wer Interesse an einer Mitarbeit hat wendet sich bitte unter der E-Mail-Adresse rettungshunde(at)kvhassberge.brk.de an die beiden Staffelleiterinnen Bianca Herz und Brigitte Lutz.
In diesem Jahr muss für die Rettungshundestaffel ein neues Einsatzfahrzeug angeschafft werden, das alte ist bereits 20 Jahre alt und hat mehr als 300.000 Kilometer auf dem Tacho. Das Fahrzeug, das nicht aus öffentlichen Mitteln bezuschusst wird, kostet samt Ausrüstung, Ein- und Umbauten rund 50.000 Euro und muss aus Eigenmitteln des BRK-Kreisverbandes finanziert werden.
Die Ehrenamtlichen hoffen dafür auch auf Spenden aus der Bevölkerung. Gespendet werden kann direkt auf das Konto des Bayerischen Roten Kreuzes, Kreisverband Haßberge, IBAN: DE37 7935 1730 0000 080440, Kennwort: „Rettungshunde – neues Einsatzfahrzeug“. Auf Wunsch stellt das BRK eine Spendenquittung aus, die bei der Buchhaltung telefonisch unter 09521/9550-16 angefordert werden kann.
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PM 001 / 2018. Text u. Fotos: Michael Will / BRK Haßberge